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Das deutsche Recht gewährt basierend auf dem Mitbestimmungsgesetz (MitbestG) und dem Drittelbeteiligungsgesetz (DrittelbG) Arbeitnehmern von deutschen Gesellschaften das Recht durch Vertretung im Aufsichtsrat an der Unternehmenspolitik unmittelbar mitzuwirken. Damit das MitbestG oder das DrittelbG zur Anwendung kommen, müssen bestimmte Schwellenwerte erreicht werden.

Mit Beschluss vom 16. Februar 2015 entschied nun das Landgericht (LG) Frankfurt am Main (Az. 3/16 O 1/14), dass der Konzernbegriff im MitbestG und DrittelbG unter Berücksichtigung von Unionsrecht so auszulegen sei, dass auch diejenigen Arbeitnehmer bei der Berechnung der Schwellenwerte für einen mitbestimmten Aufsichtsrat zu berücksichtigen sind, die bei konzernangehörigen abhängigen Unternehmen im Ausland, insbesondere innerhalb der Europäischen Union, beschäftigt sind. Dieser Beschluss kann erhebliche Auswirkungen auf die Unternehmenspraxis haben.

Sachverhalt: Gegenstand der Entscheidung war ein deutscher Konzern, der im Inland 1.624 und im europäischen Ausland 1.747 Arbeitnehmer beschäftigt. Es gab einen nach dem DrittelbG zusammengesetzten Aufsichtsrat mit 12 Arbeitgeber- und 6 Arbeitnehmervertretern.

Entscheidung: Das LG Frankfurt am Main entschied, dass der Aufsichtsrat nach dem MitbestG paritätisch zusammengesetzt sein muss und aus je 6 Arbeitgeber- und Arbeitnehmervertretern zu besetzen ist. Der Schwellenwert von „mehr als 2.000 Arbeitnehmern“ nach § 1 MitbestG war deswegen erreicht, weil neben den 1.624 im Inland, auch die 1.747 im Ausland beschäftigten Arbeitnehmer über §5 MitbestG mitzuzählen waren. Nach bisheriger Praxis waren nur die im Inland Beschäftigten mitzuzählen.

Praxisfolgen: Diese – nicht rechtskräftige, Entscheidung könnte große Bedeutung für viele Unternehmen haben, wenn sich die Gerichtsmeinung, dass auch im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer mitzuzählen sind, durchsetzen sollte. Gerade international tätige Unternehmen und Konzerne können von der geänderten Rechtsprechung besonders betroffen sein.

In vom DrittelbG erfassten Unternehmen und Konzernen kann durch Hinzurechnung von im Ausland beschäftigten Arbeitnehmern der Schwellenwert von „mehr als 500 Arbeitnehmer“ schneller erreicht sein als bislang bzw. erstmals überschritten werden. Dasselbe gilt für die vom MitbestG erfassten Unternehmen und Konzerne, für die das MitbestG bei „mehr als 2.000 Arbeitnehmern“ eingreift. Betroffene Unternehmen müssten dann erstmals einen Aufsichtsrat errichten oder die Anzahl der Arbeitnehmervertreter im bereits bestehenden Aufsichtsrat aufstocken.

Die Grundsätze der Entscheidung könnten aber auch auf die betriebliche Mitbestimmung gemäß dem Betriebsverfassungsgesetz (BetrVG) durchschlagen. Es könnte insbesondere der Konzernbetriebsrat nach §§ 54ff. BetrVG betroffen sein oder aber ggf. auch der Wirtschaftsausschuss nach § 106 BetrVG, wenn der Unternehmensbegriff nach diesen Normen entsprechend auch auf im Ausland beschäftigte Arbeitnehmer erweitert ausgelegt werden müsste.

Von dieser Entscheidung potenziell betroffene Unternehmen sollten sich daher bereits jetzt Gedanken über Abhilfestrategien machen. Es gibt Gestaltungs- und Reorganisationsmöglichkeiten, die vorbeugend getroffen werden können. Darüber hinaus müssen bereits jetzt bei Unternehmenskäufen die Auswirkungen dieser Entscheidung vorausschauend berücksichtigt werden, zumal die organisatorischen und finanziellen Auswirkungen erheblich sind und es derzeit offen ist, ob sich diese neue Rechtsmeinung durchsetzen wird. Der Ausgang des Verfahrens bleibt daher mit Spannung zu erwarten. Wir werden Sie hierüber weiter informieren.